Aiguille du Midi: Step into the void
Besondere Erlebnisse Elternzeit 2 (2017) Frankreich

Aiguille du Midi: In 3.842 m den „Schritt ins Leere“ wagen

An meinem familienfreien Tag ging es für mich hoch hinaus: Ich fuhr mit der Seilbahn auf die 3.842 Meter hohe Aiguille du Midi. Um die 2.800 Höhenmeter zu überwinden, die die Felsnadel das Stadtzentrum von Chamonix überragt, braucht die Gondel gerade mal 20 Minuten. Das ist sportlich. Bei empfindlichen Personen führt die schnelle Auffahrt oft zu Kopfschmerzen und anderen Symptomen der Höhenkrankheit.

Der Berg ruft!

Endlich hatten wir echtes T-Shirt-Wetter, und ich schleppte in meinem prall gefüllten Rucksack Fleecejacke plus Hardshelljacke mit mir herum. Oben am Gipfel herrschten halt andere Temperaturen als im Tal.
Voller Erwartung stand ich für die Seilbahn an, die mich zur Zwischenstation auf der Plan de l’Aiguille in 2.310 m Höhe bringen sollte. Mit mir wartete eine Reisegruppe, die beim Einsteigen in die Gondel echte Ellenbogenmentalität zeigte, um sich die vorderen Fensterplätze zu sichern. Was ein Quatsch! Der Ausblick in der Mitte war nicht minder gut. Egal, nicht ärgern lassen.

Gondel zur Aiguille du Midi
Weiter geht’s! Die zweite Gondel fährt von der Plan de l’Aiguille hoch zum Gipfel.

An der Zwischenstation hielt ich mich nicht weiter auf, der Berg rief. Als ich nur 10 Minuten später aus Gondel Nummer zwei stieg, bot sich mir ein sensationelles Panorama: Vor mir lagen die mächtigen Alpen, zackige Gipfel noch und nöcher, eingepudert in weißen Schnee. Ich konnte sogar das Matterhorn in der Schweiz und das Monte Rosa auf der Grenze zu Italien sehen.

Ausblick auf die Alpen von der Aiguille du Midi aus.
Ausblick auf die Alpen von der Aiguille du Midi aus.

Nordspitze: Blick auf Chamonix und bis in die Schweiz

In einem leichten Alpen-Rausch erklomm ich die Aussichtsplattformen auf der Nordspitze der Aiguille du Midi. Vorbei am Mont Blanc, dessen weiße Haube in der Sonne richtiggehend blitzte und blinkte, bis ganz hinauf, wo sich mir ein phantastischer Blick auf das Chamonix-Tal und die gegenüber liegenden Berge bot. Vom Tal aus sahen La Flégère (1.894 m), Le Brévent (2.525 m) oder die Aiguille de la Floria (2.888 m) so hoch uns, und von hier oben wiederum so klein. Alles eine Frage der Perspektive.

Ausblick auf Chamonix, Le Brévent und La Flégère
Das Chamonix-Tal liegt mir zu Füßen, ebenso die gegenüber liegende Berge, deren Gipfel sich zwischen 2.500 und 2.800 m bewegen.

Am meisten in den Bann zog mich aber das Alpenpanorama, an dem ich mich mit meiner Kamera so richtig austobte. Die Bergwelt hier wirkt nicht zuletzt deshalb so dramatisch, weil der relative Höhenunterschied zwischen den Gipfeln und den Tälern der höchste der Alpen ist.

Ausblick von der Aiguille du Midi
Auf der Aiguille du Midi habe ich mich tatsächlich ein wenig wie Gott in Frankreich gefühlt.

Zentralgipfel der Aiguille du Midi: Museum mitten im Berg

Ich überquerte die Brücke hinüber zum Zentralgipfel, wo Betonkatakomben durch das Gestein verlaufen. Mit dem „L’Espace Vertical“ befindet sich hier, mitten im Gipfelgestein der Aiguille du Midi, das höchste Museum der Welt, natürlich über den Alpinismus. Ich stöberte ein wenig durch die multimediale Ausstellung und schwankte zwischen „Wow, sind die Menschen mutig gewesen!“ und „Oh Mann, die sind ja alle verrückt“. Schließlich zog es mich wieder nach draußen, in die Sonne und zu der wunderbaren Aussicht. Den Mont Blanc hatte ich nun ständig im Blick, faszinierend fand ich aber auch den markanten Südgipfel der Aiguille du Midi, der über eine 34 Meter lange Röhre, die „Tube“, erschlossen ist.

Aiguille du Midi, Piton Sud
Blick auf den Südgipfel der Aiguille du Midi, der nun auch über die neue, 34 m lange Tube erreichbar ist.

Mit dem Fahrstuhl zum Gipfel

Die Zeit verging wie im Fluge. Zwei Stunden war ich bereits oben auf der Aiguille du Midi, nur noch nicht ganz oben auf der Spitze. Vor dem Fahrstuhl zum Gipfel wartete eine Menschenschlange, in die ich mich zähneknirschend einreihte. Verdammt, wäre ich besser mal direkt vormittags hochgefahren. So lernte ich dafür eine super nette Gruppe Inder kennen. Sie erzählten mir, wie lange sie ihre Frankreichrundreise schon geplant hatten, was sie bereits gesehen und was sie noch auf ihrer Agenda hatten. Eine halbe Stunde später stiegen wir gemeinsam in den Aufzug, der uns die letzten knapp 65 Meter hinauf zur Spitze brachte.

Gruppenfoto auf der Aiguille du Midi
It was a great pleasure to meet you, my friends!

Oben angekommen genossen wir einen Premium-Blick auf den Mont Blanc und das riesige Gletscherbecken Vallée Blanche, in dem es von kleinen, farbigen Gestalten nur so wimmelte. Und irgendwie fand ich es schön, meine Begeisterung über die wunderbare Natur endlich mit anderen teilen zu können. Macht gleich doppelt so viel Spaß, findet ihr nicht auch?

Blick auf das "Dach Europas", den Mont Blanc.
Blick auf das „Dach Europas“, den Mont Blanc.

Dann hieß es schon wieder Anstellen, und zwar für den berühmten „Schritt ins Leere“. Ganz oben auf der Spitze der Aiguille du Midi gibt es nämlich einen an fünf Seiten verglasten Kasten, unter dem sich tausend Meter absolute Leere befinden. Nervenkitzel pur.

Le pas dans le vide: Der Schritt ins Leere

Nach einer Viertelstunde langsamem Vorwärtsrücken war ich an der Reihe. Plötzlich ging alles ganz schnell. Ich bekam übergroße Puschen zugeschoben, in die ich etwas verdutzt mit meinen Wanderstiefeln schlüpfte. Als der Glaskasten frei wurde, nahm mir ein Mitarbeiter meine Kamera ab (mein Handy drückte ich noch flott meinen neuen indischen Freunden in die Hand), dann wurde ich auch schon in den Glaskasten gedrängt. Umdrehen, Lächeln, klick, klick, klick. Im Nu hatte der Mann genau 22 Fotos aus fünf verschiedenen Perspektiven von mir geschossen. Er reichte mir die Kamera zurück, ich zog die Puschen aus, und vorbei war das große Erlebnis. Mh. Dass ich gerade in einem Glaskasten mit nichts als tausend Metern Luft unter mir gestanden habe, ist irgendwie völlig an mir vorbei gelaufen. Das hatte ich mir anders vorgestellt. Hatte ich eigentlich überhaupt nach unten geschaut? Ganz ehrlich, ich weiß es nicht. Das Einzige, das bleibt, sind die Fotos. 22 Stück in 16 (!) Sekunden, wie mir die Zeitstempel der Bilder verraten haben.

Aiguille du Midi: step into the void
Was eine originelle Pose… aber immerhin chice Schuhe.

Wahrscheinlich wäre das Erlebnis vormittags länger und intensiver gewesen. Was soll’s, davon wollte ich mir auf keinen Fall diesen tollen Tag vermiesen lassen. Noch einmal genoss ich den Ausblick auf die majestätische Alpenkulisse, dann verabschiedete ich mich von meinen indischen Freunden und machte mich auf den Rückweg.

Blick auf Chamonix
Eine Gletscherzunge begleitet mich auf dem Rückweg bis weit hinunter zum Chamonix-Tal.

Fast vier Stunden war ich nun unterwegs, den Zwischenstopp auf der Plan de l’Aiguille mitsamt der geplanten Miniwanderung zum Lac Blanc musste ich leider auslassen. Schließlich hatte ich meiner Familie versprochen, sie am Nachmittag im Paradis des Praz abzuholen. Macht nichts. Ich hatte auch so einen wunderschönen und erlebnisreichen Tag, der durch die Wiedersehensfreude meiner Mädels und einem Eis auf dem Abenteuerspielplatz perfekt abgerundet wurde.

  Weitere Infos & Preise zur Aiguille du Midi
Transparenzhinweis
Zu diesem Ausflug wurde ich vom Tourismusbüro des Chamonix-Mont-Blanc-Tals eingeladen – vielen lieben Dank!

Gedanken zu Naturerlebnissen der bequemen Art

Was haltet ihr eigentlich von solchen Naturerlebnissen, die man ohne eigene Anstrengung erleben kann? Ich bin da ja immer etwas zwiegespalten. Die Sportlerin in mir schreit sofort: „Gipfel und tolle Aussichten muss man sich verdienen!“ Der Faulpelz in mir freut sich hingegen über diese bequeme Art, mal wieder etwas Bergluft zu schnuppern. Auch frage ich mich, wie sehr solche Eingriffe in die Natur selbiger schaden. Damit meine ich nicht nur den Bau von Liften und Aussichtsplattformen, sondern zum Beispiel auch die Nutzung der Bergwelt als Skiresort. Und ich fahre selbst gerne Ski! Auf der anderen Seite denke und hoffe ich, dass solche Erlebnisse und die tollen Ausblicke auf die Berge dazu beitragen, dass die Menschen die Natur lieben, respektieren und schützen. Wobei da wohl eher der Wunsch der Vater des Gedanken ist…

Unterm Strich bin ich grundsätzlich für solche Erlebnisse, allerdings in Maßen. Ich finde, dass nicht jede Naturschönheit für Jedermann erschlossen werden muss. Außerdem muss das Motto nicht immer „höher, schneller, weiter“ sein. Soll heißen, auch wenn ich mich ebenfalls von solchen Attraktionen wie dem „Schritt ins Leere“ locken lasse (leider!), brauche ich dieses i-Tüpfelchen eigentlich nicht. Der Gipfel selbst mit seinen grandiosen Aussichten ist eigentlich Attraktion genug.

Kontroverses Thema, ich weiß. Wie ist eure Meinung zu solchen bequemen Naturerlebnissen? Ich bin gespannt.

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2 Comments

  1. Ja, du hast schon recht mit deinen Gewissensbissen. Seilbahn fahren, wo doch der Ausblick die Mühe des Aufstiegs belohnen soll. Sicher kannst du nachvollziehen, wie enttäuscht ich war, als ich, noch ziemlich jung, in meinem ersten Gebirgsurlaub mühsam einen Gipfel erklomm und dann mit Seilbahn-Touri-Gewimmel von der anderen Seite konfrontiert wurde. Inzwischen hab ich zahlreiche schöne Bergtouren gemacht.
    Heute, 72 J und herzkrank, bin ich super dankbar, dass es Seilbahnen gibt !

    • Lieber Hartmut,
      du sagst es ja selbst, es gibt Situationen, wo man über Seilbahnen oder Zahnradbahnen einfach froh ist. Mit Kleinkindern hätte ich ohne Transportmittel auf so manches Bergerlebnis verzichten müssen. Ich denke mir: Seilbahnen definitiv ja, aber in Maßen statt in Massen. Ich habe auch schon einige Bergtouren hinter mir und mir die Gipfel- und sonstige Naturerlebnisse (Island!!) per pedes erarbeitet. Das ist immer noch das schönste Gefühl. Ein ähnliches Erlebnis wie du hatten wir übrigens in der Auvergne. Wir sind mit Baby auf dem Rücken den Puy de Sancy hoch gekraxelt, um auf den letzten Metern zum Gipfel in einer Menschenmasse Schlange stehen zu müssen.
      Ich wünsche dir noch viele schöne Bergerlebnisse, auch mit Seilbahnunterstützung!
      Liebe Grüße, Nicole

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