Ob wir hier wohl richtig sind? Ich blicke etwas hilflos in eine Art Garagenhinterhof mitten im tunesischen Mahdia. Zwei weiße Kleinbusse mit rotem Streifen stehen in den Parkboxen, darüber prangen ein arabischer und ein französischer Schriftzug: Sfax, El Djem, Sousse. Das müssen die Zielorte der Überlandbusse sein, wir scheinen also richtig zu sein.
Eine aufregende Fahrt in der Louage
Einige Männer stehen rauchend, quatschend und lachend vor den Louages, wie das in Tunesien typische Fortbewegungsmittel auf Französisch heißt. Als sie uns erblicken, stottere ich mit meinem Rest-Schulfranzösisch, dass wir nach Kairouan fahren möchten. „Ja, kommt, kommt!“ Mit einem ausladenden Winken werden wir in die Louage nach Sousse gelotst. Wir nehmen auf der hinteren Bank Platz, die anderen wartenden Männer steigen ebenfalls ein, und schon geht es los. Wir haben Glück, denn die Louages folgen keinem festen Zeitplan, sie starten immer dann, wenn sie (fast) voll besetzt sind.
Der Fahrstil des Busfahrers ist rasant. Er poltert durch Schlaglöcher und über holprige Pisten, er überholt an allen möglichen und unmöglichen Stellen. Irgendwie habe ich das aber schon befürchtet, daher bleibe ich überraschend entspannt. Nach über einer Stunde Durchschüttelei erreichen wir Sousse, wo wir umsteigen müssen. Die hiesige Station de Louage ist anders: Groß, laut und trubelig. Das erste Teilstück haben wir direkt an unseren Busfahrer gezahlt, das Anschlussticket nach Kairouan müssen wir an einem Fahrkartenschalter erwerben. Ein Mitreisender begleitet uns netterweise zum richtigen Schalter und hilft uns beim Ticketkauf. Dann drückt er uns noch einen Granatapfel in die Hand, den wir unbedingt probieren sollen, und wünscht uns viel Spaß in der heiligen Stadt.
Nach einer knappen Stunde Fahrt durch die zentraltunesische Steppenlandschaft erreichen wir Kairouan. Hinter einem Kreisverkehr stoppt der Busfahrer und lässt uns aussteigen. „Geht einfach diese Straße geradeaus, dann lauft ihr direkt auf die Große Moschee zu“, weist er uns die Richtung. Da man bei den Louages unabhängig von irgendwelchen Stationen beliebig ein- und aussteigen kann, haben wir den Fahrer gebeten, uns an einer günstigen Stelle für eine Stadtbesichtigung raus zu lassen. Wir schlendern in die uns gewiesene Richtung los.
Wahrzeichen von Kairouan: Die Große Moschee
Wie ein Festungsturm erhebt sich das 35 Meter hohe Minarett der Großen Moschee vor unseren Augen. Wow, ich bin jetzt schon beeindruckt! Durch ein seitliches Tor betreten wir den Innenhof der islamischen Gebetsstätte und lassen die Dimensionen auf uns wirken. 95 mal 67 Meter misst allein die Grundfläche des marmorgepflasterten Hofs, in dem bis zu 200.000 Gläubige Platz finden sollen. Dazu kommt noch der 80 mal 40 Meter große Gebetssaal, erfahren wir von einem jungen Tunesier, der sich uns als Guide anbietet. Warum nicht. Er möchte etwas verdienen, und wir möchten die Sīdī ʿOqba Moschee kennen lernen.
Nach Mekka, Medina und Jerusalem ist die Große Moschee von Kairouan das viert wichtigste Pilgerziel der islamischen Welt. Erbaut wurde sie bereits im 7. Jahrhundert, es folgten aber mehrere Wiederauf- und Umbauten. Beindruckt betrachte ich ein mächtiges Tor aus Zedernholz, das reich an filigranen Verzierungen ist. Gleich 17 solcher Tore führen vom Hof in den Gebetssaal. Eintreten dürfen wir „Ungläubigen“ natürlich nicht, aber immerhin wird uns ein Blick ins Innere der Moschee gewährt. Ich staune weiter. Ein Wald aus 414 antiken Säulen trägt die 3.200 Quadratmeter große Halle, die in 17 Schiffe unterteilt ist. Die Materialien für die Säulen stammen übrigens teilweise aus römischem und byzantinischem Baugut, unter anderem aus Karthago und Sousse, während man sich für die Säulen im Hof bei den nah gelegenen römischen Ruinen bedient hatte. Recycling.
Die Gebetshalle ist mit Teppichen ausgelegt. Hier und da lehnen Männer an den Säulen und lesen, im Koran, nehme ich einfach mal an. Unser Guide erzählt uns, dass sich im Gebetssaal eine sehr prunkvoll gestaltete Gebetsnische befindet, die Mihrab, die allerdings um 31 Grad von der korrekten Gebetsrichtung nach Mekka abweicht. Um das Kunstwerk aus dem 8. Jahrhundert nicht zu zerstören, wurde der Fehler bis heute nicht korrigiert. Die Stunden für die Gebete werden auch von einer Sonnenuhr angezeigt, die sich im Innenhof der Sīdī ʿOqba Moschee befindet.
Zum Abschluss der Führung geleitet unser Guide uns noch auf das Dach eines benachbarten Hauses, von wo aus wir einen herrlichen Blick von oben auf die Große Moschee haben. Anmutig, stark, trotzdem schlicht, denke ich. Ein wunderbares Bauwerk.
Und dann passiert es. Auf dem Weg hinunter vom Dach führt unser Guide uns direkt in den Verkaufsraum eines Teppichhändlers. Das Cliché lebt! Schnell drücken wir unserem Fremdenführer etwas „Bakschisch“ in die Hand, wie das Trinkgeld in den arabischen Ländern heißt, und treten vehement die Flucht an – auch wenn die Teppiche aus Kairouan weltweit für ihre ausgezeichnete Qualität bekannt sind.
Bummel durch die Medina von Kairouan
Wir schlendern durch die Altstadtgassen von Kairouan und lassen die Atmosphäre der Medina auf uns wirken. Wir passieren kleine Kramläden, die wir nach der Teppichhändlererfahrung für den Moment lieber meiden, bewundern aufwändig und bunt gestaltete Türen und entdecken Kontraste der unterschiedlichsten Art. Auch die nächste Moschee ist nicht weit, wobei wir die aus dem 9. Jahrhundert stammende Moschee der Drei Tore nur von außen besichtigen dürfen.
Bir-Barouta-Brunnen: Die (Ursprungs-)Quelle von Kairouan
Unseren nächsten Stopp legen wir bei dem sagenumwobenen Brunnen Bir-Barouta ein. Der Legende zufolge soll der Gründer Kairouans, Uqba ibn Nãfi, auf seinem Islamisierungszug im Jahre 670 einen Speer in die Steppenlandschaft geworfen haben. An der Einstichstelle entstand eine Quelle, um die herum er sein Lager, wie Kairouan übersetzt heißt, aufschlug. Kairouan ist damit die erste islamische Stadt Afrikas, und die Quelle ist noch heute als Bir-Barouta-Brunnen zu sehen.
Das hölzerne Schöpfrad des Brunnens wird von einem Dromedar angetrieben, das sofort von einem alten Herrn in Bewegung gesetzt wird, als wir eintreten. Das Wasser soll Heilkräfte besitzen, da der Brunnen der Legende zufolge eine unterirdische Verbindung zum heiligen Brunnen Zem-Zem in Mekka haben soll. Ich genieße das frische, kühle Wasser, vornehmlich weil ich mich bei den Außentemperaturen von deutlich über 30 Grad regelrecht ausgedörrt fühle, vielleicht aber auch ein bisschen wegen der möglichen Heilkräfte.
Souk-Besuch: Buntes Markttreiben in der Medina von Kairouan
Keine fünf Gehminuten später erreichen wir das Bāb Tūnis (Tunis-Tor), das einzige noch erhaltene der sechs Stadttore aus dem 8. Jahrhundert. Die heute sichtbare Stadtmauer stammt aus dem 18. Jahrhundert. Um uns herum herrscht reges Markttreiben. Von allen Seiten bieten uns die Verkäufer ihre Waren an: Tücher, Gewürze, Teppiche, Früchte. Bei letzteren greifen wir zu. Mmh, lecker! Die Souks sind im Grunde das Herz einer jeden orientalischen Stadt. Als Nicht-Orient-Erprobte überfordern uns die Geräuschkulisse, Gerüche und Farben aber leider sehr schnell. Da die Zeit mittlerweile schon fortgeschritten ist, bewegen wir uns langsam in Richtung der Station de Louage.
Wasserbassins der Aghlabiden & Mosquée du Barbier
Einen Abstecher legen wir allerdings noch ein, denn die riesigen Wasserbecken der Aghlabiden möchten wir uns nicht entgehen lassen. Im 9. Jahrhundert wurden die Bassins erbaut, um Quellwasser zu speichern, das aus dem 36 Kilometer entfernten Gebirgszug Djebel Cherichera hergeleitet wurde. Kairouan liegt als einzige größere Stadt Tunesiens inmitten von trockener Steppenlandschaft und war daher auf eine externe Trinkwasserversorgung angewiesen.
Auf dem Weiterweg zur Station de Louage stolpern wir noch über eine weitere Moschee, in die wir zumindest einen kurzen Blick werfen. Von außen schlicht besticht die Mosquée du Barbier im Inneren durch kunstvolle Kacheln an Decken und Wänden.
Erschöpft aber zufrieden lassen wir uns in die nächste Louage fallen. Kairouan zählt völlig zu Recht zum Weltkulturerbe der UNESCO (seit 1988), finde ich. Der Fahrtaufwand von knapp 2,5 Stunden pro Strecke hat sich allemal gelohnt. Nun fehlen nur noch sechs Besuche, denke ich schmunzelnd, denn sieben Reisen nach Kairouan zählen unter Muslimen so viel wie eine Pilgerfahrt nach Mekka.
Nach Tunesien sind wir sehr spontan und (für uns eher untypisch) pauschal gereist. Unsere Ausflüge haben wir trotzdem auf eigene Faust unternommen, die organisierten Touren vom Hotel sind uns einfach ein Graus. Habt ihr auch schon mal solche „individuellen Pauschalurlaube“ unternommen? Wie sind eure Erfahrungen?